Wie das Two-Loops-Modell KMU durch den Wandel begleitet
Veränderung beginnt selten mit einem lauten Knall. In vielen Organisationen laufen etablierte Strukturen stabil weiter, während parallel erste neue Ansätze und Arbeitsweisen entstehen. Diese Übergangsphase ist weder Ausnahme noch Störung, sondern ein normaler Teil organisationaler Entwicklung. Das Two-Loops-Modell beschreibt dieses Nebeneinander von Bewährtem und Entstehendem und bietet eine Orientierung dafür, wie Veränderung über Zeit gestaltet werden kann.
Zwischen Bewährtem und Aufbruch
Montag, 7:05 Uhr. Die erste Fräsmaschine fährt hoch, die Lichtleisten flackern, Staubfänger brummen an.
Jana, Chefin eines 70-köpfigen Tischlerei-Familienbetriebs, gießt sich Kaffee ein. Beim Blättern durch die Lokalzeitung bleibt sie an einer Schlagzeile hängen: „30 % mehr Produktivität durch KI“. Sie schnaubt. „Schön wär’s. Wir kämpfen ja schon damit, dass unsere Software keine Stücklisten automatisch abgleicht.“ Die letzten Monate waren geprägt von wachsender Nachfrage, aber auch einem Gefühl: Irgendetwas kommt an seine Grenze.
Da steckt Werkstattleiter Tom den Kopf zur Tür. „Ich hab mir dazu auch Gedanken gemacht“, sagt er und legt ein Blatt auf den Tisch. Zwei Linien, eine fällt langsam ab, die andere steigt gemächlich. „So fühlt es sich doch an, oder? Das Alte trägt uns noch, aber es läuft schwerer. Und gleichzeitig gibt’s neue Ideen, aber die sind noch unfertig.“ Jana nickt langsam. Das ist genau das, was sie seit Monaten spürt.
Abends googelt sie „Ablösung alter Strukturen“ und stößt dabei auf das Two-Loops-Modell, entwickelt am Berkana Institute und verbreitet durch die Simon Fraser University. Es beschreibt genau das, was Tom skizziert hat: Veränderung passiert nicht als Umbruch über Nacht, sondern während das alte System noch läuft, entsteht das neue daneben. Langsam, Stück für Stück.
Das Two-Loops-Modell
Das Two-Loops-Modell beschreibt, wie sich lebende Systeme verändern [1][2]. Es zeigt zwei Linien, die einander überlappen:
Abbildung 1: Das Two-Loops-Modell. Bildquelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an [2].
Die obere Linie – das bestehende System
Das alte System hat Strukturen, Routinen und Erfolgslogiken hervorgebracht, die Stabilität sichern. Doch jedes System erreicht einen Höhepunkt. Doch irgendwann treten neue Anforderungen, wachsender Digitalisierungsdruck oder komplexere Kundenwünsche auf. Die Stabilität beginnt zu bröckeln. Hier kommen die Hospiz-Begleitende ins Spiel. Nicht „abschaffen“, sondern achtsam auslaufen lassen, Wissen bewahren, Kultur schützen. Jana erkennt: Das Alte muss nicht weg. Es darf würdevoll weiterlaufen bis das Neue tragfähig ist.
Die untere Linie – das entstehende System
Parallel zum Alten wächst ein neues System. Menschen wenden sich als Pioniere vom Alten ab, um Neues zu erproben. Diese Innovator:innen experimentieren oft im Kleinen. Azubi Leo montiert zum Beispiel Sensoren an die Fräse, um Daten auszuwerten. Finanzleiterin Mia testet KI-Prompts, um Abläufe zu optimieren. Diese Neuerungen bleiben anfangs vereinzelt. Erst wenn sich die Wegbereiter untereinander vernetzen, entsteht Austausch. Daraus bilden sich Netzwerke und später Gemeinschaften des gemeinsamen Lernens und Übens (Praxisgemeinschaften) [3,4]. Sie sind die Keimzellen, in denen neues Wissen geteilt, ausprobiert und gefestigt wird. Wenn dieses neue Lernen sichtbar und wirksam wird, entsteht daraus ein neues Einfluss- und Wirkgefüge, und das neue System gewinnt an Stärke und Bedeutung [2][4].
Der Übergangsraum – wo beide Systeme sich begegnen
Der spannendste Moment liegt zwischen den Schleifen. Das alte System sorgt weiter für Stabilität und Einnahmen, während das neue sich entfaltet. Transformation gelingt, wenn beides nebeneinander bestehen darf: das Alte als Wurzel, das Neue als Trieb. Jana erkennt, dass es keine radikalen Umbrüche braucht. Es reicht, beiden Systemen Raum zu geben . Stabilität dort, wo sie trägt, und Mut zum Experiment dort, wo Neues wachsen kann.
Drei Rollen, die Wandel gestalten
Das Modell benennt drei zentrale Rollen [1][2].
- Pioniere: Sie verlassen das alte System, um Neues zu erproben. Sie denken voraus, experimentieren, erkunden Alternativen
- Hospiz-Begleitung: Sie halten das Alte stabil, begleiten Übergänge, bewahren Wissen und Kultur.
- Vernetzende und Sichtbarmachende: Sie verbinden Menschen, verbreiten Geschichten über funktionierende Ansätze und schaffen Resonanzräume.
Keine dieser Rollen ist „besser“. Erst ihr Zusammenspiel lässt Wandel entstehen. Tom etwa hält den Betrieb stabil, während Leo und Mia experimentieren. Jana selbst wird zur Vernetzerin. Sie teilt Erfahrungen im regionalen Unternehmernetzwerk, besucht Werkstatt-Talks beim Mittelstand-Digital Zentrum und schafft Verbindungen.
Vom Denken zum Handeln – Janas Loop-Plan
- Wahrnehmen: Wo hakt es im Alltag? Jana hängt ein Whiteboard auf. Jede rote Haftnotiz markiert eine Verzögerung oder unnötige Schleife.
- Raum für Experimente: Ein kleines Budget, feste Zeiten. Genug, um Neues zu testen, ohne Erfolgsdruck. Erste Mitarbeitende besuchen einen Prompt-Workshop
- Netzwerk aufbauen: Statt alles selbst zu erfinden, sucht das Team Austausch mit anderen KMU.
- Ein greifbarer Pilot: „Fünf Prozent weniger Stillstand in 90 Tagen.“ Messbar, realistisch, motivierend.
Autor
Carlos Antonio Ambriz
Lyn Zenner
mittelstand-digital@tuhh.de
Quellen
[1] Berkana Institute (2006). Pioneering a New Paradigm. Abrufbar unter: https://berkana.org/resources/pioneering-a-new-paradigm/
[2] Simon Fraser University (2024). Two Loop Model. Abrufbar unter: https://www.sfu.ca/complex-systems-frameworks/frameworks/strategies/two-loop-model.html
[3] Wenger, E. (1998). Communities of Practice: Learning, Meaning and Identity. Cambridge University Press.
[4] Wheatley, M., & Frieze, D. (2006). Using Emergence to Take Social Innovations to Scale. Berkana Institute. Abrufbar unter: https://www.margaretwheatley.com/articles/using-emergence.pdf
Fazit
Das Two-Loops-Modell zeigt, dass Veränderung selten abrupt stattfindet. Während das bestehende System noch trägt, wächst das neue bereits daneben. Dies geschieht durch einzelne Experimente, Ideen und Menschen, die Neues erproben. Beide Systeme erfüllen eine Funktion: Das Alte bietet Stabilität und Identität, das Neue eröffnet Zukunft und Anpassungsfähigkeit.
Wandel gelingt, wenn das Bestehende nicht abgewertet, sondern achtsam begleitet wird, während das Entstehende Raum zum Wachsen erhält. Dafür braucht es Führung, die Unterschiede aushält, Menschen verbindet und Lernen ermöglicht und nicht nur Entscheidungen trifft.
Benötigen Sie Unterstützung beim Thema Two-Loops-Modell? Ob offene Fragen oder konkrete Problemstellungen, die Sie gern mit uns angehen möchten – unsere Expert:innen helfen Ihnen gerne weiter. Kontaktieren Sie uns gerne unter mittelstand-digital@haw-hamburg.de